Unmöglich zu beginnen, ohne selbst bereits zu verdoppeln.
Ich wünschte, versetzte Wilhelm, daß ich Ihnen alles, was gegenwärtig in mir vorgeht, entdecken könnte! Alle Vorgefühle, die ich jemals über Menschheit und ihre Schicksale gehabt, die mich von Jugend auf, mir selbst unbemerkt, begleiteten, finde ich in Shakespeares Stücken erfüllt und entwickelt. Es scheint, als wenn er uns alle Rätsel offenbarte, ohne daß man doch sagen kann: hier oder da ist das Wort der Auflösung. Seine Menschen scheinen natürliche Menschen zu sein, und sie sind es doch nicht. Diese geheimnisvollsten und zusammengesetztesten Geschöpfe der Natur handeln vor uns in seinen Stücken, als wenn sie Uhren wären, deren Zifferblatt und Gehäuse man von Kristall gebildet hätte, sie zeigen nach ihrer Bestimmung den Lauf der Stunden an, und man kann zugleich das Räder- und Federwerk erkennen, das sie treibt.
(MA 5:190-91)Den tiefen Eindruck, den seine nicht ohne Skepsis begonnene Lektüre von Shakespeares Werken auf Wilhelm Meister gemacht hat, kann er seinem Gesprächspartner und Bildungsbeauftragten Jarno nicht wiedergeben, nicht ent-decken, ohne diese—und mit ihr den gelesenen Text—zu verändern: In der Nacherzählung wird der gelesene zum paraphrasierten Text, er verdoppelt sich und wird sich darin selbst zu einem Anderen. So sehr Wilhelm wünschte, “alles, was gegenwärtig in [ihm] vorgeht,” entdecken zu können, so sicher entglitten ihm die scheinbar offenbaren “Rätsel,” sobald das “Wort der Auflösung” “hier oder da” eindeutig vorgefunden und ausgesprochen werden könnte, sobald er “die geheimnisvollsten und zusammengesetztesten Geschöpfe” auf einen Nenner zu bringen versuchte.